Weitverzweigtes Handelsnetz

Tabelle II: Jährliche Abgaben der Exporthäuser an die äbtische Rorschacher Gewerbweorganisation. RMC 1968/Dezember.
Jährliche Abgaben der Exporthäuser an die äbtische Rorschacher Gewerbeorganisation.

Natürlich gibt die Tabelle II keinen Aufschluss über das gesamte Einkommen der drei Familiengesellschaften. Sie kann es schon deshalb nicht, weil die Firmen nicht nur mit Leinwand handelten. Aus den südlichen Absatzgebieten führten sie Landeserzeugnisse ein, die sie mit Gewinn weiter verkauften. So verschafften die Bayer dem Kaiser Pulver und Salpeter zu Kriegszwecken, wie aus ihrem Adelsbrief hervorgeht. Wahrscheinlich beschafften sich alle Häuser, neben den Rohmaterialien zur Leinwandherstellung, auch Seide, Samt, Bänder, Baumwollstoffe, wohlfeile Tücher aus Mailand, schwere Damaste aus Lucca und feine Rideaux, auch Flanell und Molleton. Daneben aber auch Gewürze, z.B. apulischen Safran zum Würzen von Suppe, Wein, Bier und Kuchen, ferner Tafelöl, spanische Weine und Südfrüchte. In den Botegen, Ablagen oder Filialsitzen im Ausland walteten Faktoren unserer Grosshandelshäuser. In Rorschach dienten ihnen amtliche bestellte Feilträger, auch Aufkäufer, Vertreter oder Makler. So verfügten die Erben von Bayer vier Jahre lang über einen Chirurgus Rothfuchs, dann über einen Joseph Roth und noch später über einen Johann Baumgartner, der ihnen zwischen 1776 und 1787 ganz hübsche Gewinne – manchmal bis zur Hälfte der Einnahmen des Hauptgeschäftes – hereinbrachte. Auch Franz Ignaz und Wendel von Bayer beschäftigten jahrelang einen Franz Anton Waldmann und später einen Bernhard Heer. Für Marzell Hoffmann & Co. arbeitete ein Joseph Huchler mit gutem Erfolg. – Die ausländischen Faktoren, oft Italiener oder Spanier, gaben Bericht, welche Waren an ihrem Platze begehrt waren.

Gute Kapitalverzinsungen erreichten die grossen Handelshäuser durch ihre Funktion als Marchands- Banquiers. Ohne die Kredite der Ferdinand von Bayers Erben von insgesamt 139000 Gulden wäre es Abt Beda nicht möglich gewesen, die Hungersnot von 1770/71 zu lindern und den Bau der Fürstenlandstrasse und öffentlicher Gebäude zu unternehmen. Unter den Hoffmannschen Schuldnern fanden wir zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Räume St.Gallen, Thurgau, Graubünden und Süddeutschland viele Einzelpersonen – unter ihnen auch Arzte, Amtspersonen und besonders viele Geschäftsleute (unter ihnen auch die Bayer und Albertis), dann aber auch verschiedene Gemeinden und Spitalpflegschaften. Die Summen gingen im Einzelfall von 100 bis 20000 Gulden. Insgesamt waren die Hoffmann damals Gläubiger von 361820 Gulden. Sie konnten mit berechtigtem Stolz über die Haben-Seite ihrer Hauptbücher schreiben «Was wir sind». Fruchtlose Betreibungen und Fallimente trübten selbstverständlich schon damals die Beziehungen zwischen Schuldnern und Gläubigern. Es ist gut möglich, dass sich diese Guthaben nicht allein auf Darlehen, sondern auch auf ausstehende Zahlungen im Leinwandgeschäft bezogen.

Die weitgereisten Kaufleute mit ihrem weltmännischen Wesen galten zu Hause als Beispiel des erfahrenen und unabhängigen Bürgers. Sehr viele Vertreter der genannten Handelshäuser wurden äbtische Amtsleute, Räte und Richter, in der Umsturzzeit Munizipalräte, nach 1803 Gemeinderäte. In der äbtischen Epoche waren manche Inhaber geistlicher und weltlicher Würden in stiftsanktgallischen und fürstbischöflichen Diensten zu Chur und Konstanz. Die körperlich Beweglicheren unter ihnen dienten in jüngeren Jahren als Offiziere in Fremdendiensten. Sie erlebten auch auf diese Weise ein Stück Welt und wurden nach ihrer Entlassung und Heimkehr vom Abte oft zu Rittmeistern seiner Landesmiliz ernannt. Auch in der sanktgallisch kantonalen Epoche wurden sie nicht selten, getragen vom Vertrauen ihrer Mitbürger, in öffentliche Stellungen berufen. Ihr solides Geschäftsgebaren, das auf lauterer Gesinnung beruhte, verschaffte ihnen Vertrauen und Achtung. Einige unter ihnen genossen hohes Ansehen und gewannen bedeutenden Einfluss. Ich denke dabei an Marzell Hoffmann (1809-88), den sanktgallischen Landammann und ersten Rorschacher Nationalrat.6

Ihrer schönen Wahlheimat zeigten sie sich erkenntlich. Ihre Stiftungen beweisen, wie gerne sie an Kirchen, Spitäler und Schulen, an Waisenkinder und Hausarme von ihrem Reichtum weitergaben. Doch das ist alles versunken und halbvergessen. Von ihrem Lebensstil zeugen noch einige Herrensitze: die beiden Hahnberg der Bayer, das Schlösschen Wiggen der Hoffmann. Das Schlösschen Gründeck in Staad und das Ebertsche Haus in Arbon erinnern an die Alberris. Im Kirchhof mahnen zwei Familiengräber an die hier vereinigten Bayer und Hoffmann.

Als freundliche Erinnerung blieben uns die selbstbewusst erbauten stilvollen Bürgerhäuser mit ihren bequemen Treppen und weiten Räumen, mit ihren vergitterten Kontorfenstern, mit Mansarden, Walmdächern und Erkern. Dabei standen die Stallungen, Remisen und Kinderspielplätze. Im Geviert Hauptstrasse-Kirchplatz-Kirchstrasse-Mariabergstrasse lag die Rorschacher «Visitenstube», in der sich nicht nur Geschäfte abwickelten, sondern auch Kunst- und Musikpflege und gesellschaftliche Zusammenkünfte und Vergnügen beheimatet waren.

6 Vgl. Anm. 36, S. 99.

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