Jumpfer Bluem - «'s Eidechsli» - Ein Goldacher Dorforiginal

Jumpfer Bluem «Eidechsli»
Jumpfer Bluem «Eidechsli»

Das kleine, altmodische Persönchen mit dem strengen «Ribeli» am Hinterkopf, dem braunen Runzelgesichtchen, darin schlau und lebhaft dunkle Mausäuglein hin und her blitzten, wohnte seit vielen Jahren im schwarzverwitterten, baufälligen Tätschhäuschen am rauschenden Dorfbach. Das Jümpferli gehörte mit seinem Eigensinn, den strengen Moralbegriffen längst vergangener Zeiten, dem langen grün-schwarzen, weiten Rock so sehr zum Dorfbild, wie der ewig singende Dorfbach mit seinem alten, zerrbröckelnden Brunnen am Konsumplatz und wie die nie auszurottenden muntern Lausbuben. Diese waren es denn auch, die an Jumpfers Haustüre wild polterten und in aufreizenden Tönen den Spottnamen riefen: «Eidechsli, Eidechsli!» Und es war für die Beteiligten und die blossen Zuschauer immer wieder ein neues Schauspeil, wenn die alte Türe in den Angeln krächzte und die Jumpfer erschien, in heiligem Zorn ihren wurmstichigen Stock schwingend, und alle Menschen, die Jugend und Männer ins besondere, ins Pfefferland verwünschte. - Nachher ging sie wohl wutentbrannt zum Herrn Lehrer, welcher als guter Pädagoge das Verwerfliche solcher Handlungen seinen Schülern predigte - aber erfolglos - schon die Väter, noch in Bubenhosen steckend, riefen weiland ihr «Eidechsli» vor derselben Tür und warteten lachend auf die belustigenden Folgen. Ach ja, die Jugend übernahm dies alles gleichsam als Servitut.

Kurzum, das «Eidechsli» liebte die Kinder nicht. Es war aber auch eine eingefleischte Männerfeindin, und musste einmal ein Mann von Amtes wegen bei der Jumpfer vorsprechen, so öffnete sie vorsichtig den Türspalt nur so weit, um den draussen stehenden «Feind» misstrauisch anzublicken, möglichst kurze Antwort zu zischen und dann - klapp - die Türe vor dem Verbdutzten resolut zuzuschlagen. - Warum sie übrigens für alle Männer eine scharfe Abneigung spürte, konnten wir trotz allem Forschen nie so richtig erraten. Das «Eidechsli» hatte uns zwar in einem redseligen Stündchen gestanden, dass es in Jungen Jahren auch Liebe gefühlt habe, aber er, der insgeheim Verherrlichte habe nichts wissen wollen. Eines grauen Tages hatte es den Herzenskönig Arm in Arm mit Nachbars Kathrinli gesehen. Ob sich damals das arg verwundete Jümpferli für alle Zeiten geschwore hatte Distanz von allem Männlichen zu halten - es mag wohl sein.

Jumpfer Bluems tausend Rünzelchen lächelten selig ob eines Schlückli guten Weines, und sie zog jeweils das Gutterli fest an ihre schmale Jumpfernbrust gepresst, glücklich in ihre Klause. Andern Tags brachte sie schmunzelnd das blitzsauber gewaschene Fläschchen zurück. Zu dieser wichtigen Reinigung kraxelte das «Eidechsli» mit den alten, dünnen Beinen, an denen hilflos zu grosse, ausgetretene Schuhe klafften, den Hang zum Dorfbach hinunter und schüttelte und schwenkte die Weinflasche so lange im sprudelnden Wasser, bis sie hell wie Kristall funkelte. Wie ein Kind wartete es dann auf unsere Worte der Anerkennung und es sagte einst mit lustigem, vielsagendem Zwinkern seiner schlauen Aeuglein, dass es sicher und gwüss jeden Tag in den Bach steigen würde, wenn es täglich - äbe jo.

Wie es ohne seelische Hemmungen durch sein einfaches Leben trippelte, ebenso ungeniert sagte es seinen Gönnern die Meinung und schimpfte und räsonnierte mit uns, dass es eine Sünde und Schande sei, die Häute der Stockfische wegzuwerfen. Der Herrgott sollte solche Leute allesamt mit Hunger und Pest bestrafen. Die Häute seien überhaupt das Beste und das Fleisch zwischen den Gräten am kräftigsten. Also höckelte man das brummende Persönchen vor einen gehäuften Teller von Fischhäuten und Gräten, und es unterhielt sich göttlich schmausend, das rundliche Kinn und die welken Finger glänzend von Butter.

Hin und wieder fanden wir in «Eidechlis» tief eingekerbten Runzeln verdächtige, schwarze Linien, und wenn wir baten: «Jumpfer Bluem, Ihr sötted Eu wieder emol richtig mit Seife wäsche», so geriet es in gar schreckliche Wut und es schwor bei allen Heiligen, dass es sich gewaschen habe und überhaupt - wills Gott s' isch wohr! gehe es bestimmt jedes Jahr einmal baden! Und richtig! Wir konnten das liebe «Eidechsli» schmunzelnd beobachten, wie es stolz wie ein Ritter nach gewonnener Schlacht, mit einem nassen zerflickten Tüechll unterm Arm durch das Dorf heimwärts tappelte und schon von weitem mit seinem dünnen, gebrochenen Stimmchen .posaunte, dass es bald Ostern sei und es nun wieder gebadet habe. Wirklich, die lederfarbene Haut des Altjungferngesichtchens glänzte und roch von Seife!

Wenn es dann Sonntags mit der engen Jacke, dem weiten, zum Boden reichenden grünschwarzen Rock und dem kleinen Hütchen, von dem lustig ein losgelöstes Band über Jumpfers Rücken baumelte, mit dem alten Stock als ständigem Begleiter, in die vollbesetzte Kirche schrittelte, immer zu spät, durchwanderte es ohne jegliche Hemmungen geruhsam den Hauptgang, mit den schwarzen Aeuglein flink nach allen Seiten spähend. Es drängte sich schliesslich mit einer unnachahmlichen Hartnäckigkeit neben die Frau Doktor oder die Frau Direktor und zog den alten Rosenkranz aus der faltigen Rocktasche. «Goht mi nüht a. vor em Herrgott sind alli glich», pflegte das «Eidechsli» zu poltern, als wir ihm das Ungebührliche, sich in eine vollbesetzte Bank Just neben die Dorf-Aristokratie hinein zu zwängen, schonend beibringen wollten. Ach, das «Eidechsli», es ging seinen eigenen Weg, gradaus, unbekümmert, seiner selbst bewusst, und seine Art und sein köstlicher Eigensinn stempelten es zum unbedingten Dorf-Original. Es gehörte einfach zum schwarzen Hüttchen am rauschenden Dorfbach, es gehörte aber auch hin und wieder in die Familien als lebendes Symbol natürlicher Einfachheit und unbegrenzter, furchtloser Aufrichtigkeit.

Als das Jümpferli dann hochbetagt und ganz allein durch jenes dunkle, aber geheimnisvolle Tor wanderte, von dem keiner mehr zurückkommt, stand sein wurmstichiger Handstock, der treue Begleiter seines Jungfern-Daseins, verlassen in der Stubenecke. Auf dem alten Stuhl lag traurig das kleine Schwarze Hütchen mit dem losgelösten Band. Selbst dieses Bändchen, das vordem immer so lustig flatterte, Schien zu Weinen. Still und zufrieden aber lag das alte «Eidechsli» da und es lächelte ein wenig. Vielleicht sah es doch die vielen Ratten und Mäuse, die lebensfroh an etlichen Laiben alten Brotes knabberten, die ihnen das «Eidechsli» in sorgender Liebe in Küche und Keller bereitgelegt hatte.

Verfasserin: Frida Bauer-Riedener
Buchtitel: Rorschacher Monatschronik 1950, S.116-117
Copyright: 1950 by E. Löpfe-Benz, Rorschach

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