Wie alt ist Rorschach?

Hafen von Rorschach um 1865. Aquarell von Josef Martignoni im Heimatmuseum Rorschach
Hafen von Rorschach um 1865

Rorschachs Anfänge liegen im Dämmerlicht der Vorgeschichte. Denn wie wenig wissen wir von seinen frühesten Bewohnern, deren Spuren auf der Obern Burg – 1 Kilometer vom Hafen entfernt, nordwestlich des Weilers Hof – entdeckt worden sind! Zweimal flüchteten Menschen dort hinauf um eine Bedrohung zu überstehen: etwa 1500 v. Chr., am Ende der Frühbronzezeit, als bei der Bleiche Arbon ein größerer Pfahlbau stand. Vielleicht gaben diese den Bronzeguß kennenden Menschen einander Feuerzeichen. Auf jeden Fall fand man an zwei Stellen Brandschichten, die auf eine kürzere Siedelung schließen lassen, Man weiß nicht, wer vor wem geflüchtet ist. Das zweite Mal begaben sich Anwohner in den Schutz der anderthalb Meter dicken Trockenmauern gegen Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. Da könnte es sein – doch dies ist nur Vermutung – daß 15 v. Chr. Räter oder Helvetier oder beide sich am Rorschacherberg in Sicherheit brachten, als römische Truppen vom Untersee her dem Ufer entlang rheintalaufwärts zogen. Denn während Drusus und Tiberius nach der Schlacht gegen die Vindeliker mit den Hauptheeren nach Norden vordrangen, schickten sie ihre UnterfeIdherren zur Eroberung Rätiens aus! Das Heidenländli, inmitten des heutigen Strandbads gelegen, war offenbar kein Pfahlbau, sondern eine mittelalterliche Anlage. Der Name Spek in Staad geht vermutlich auf einen römischen Wachtturm (specula) der Kaiserzeit zurück. Auf Rorschacher Gebiet fand man undatierbare römische Münzen, die von Soldaten oder Händlern stammen. Das Geld lag, wie die Funde von Horn, in der Nähe der im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. zwischen Rheineck und Arbon bestehenden Heerstraße. Seit dem Ende des 5. Jahrhunderts erschienen die Alemannen in unserer Heimat, nachdem sie schon mehrere Einfälle ins westliche Mittelland unternommen hatten. Seit ihrer Niederlage gegen die Franken im Jahre 496 zogen Teile dieses westgermanischen Stammes in die Gegenden links des Rheins. Im heutigen Seehof, ganz nahe an der Kirchhofmauer, fand man bei einem Wegbau 12 männliche Gerippe, teils von unbehauenen Steinen eingefaßt, teils in freier Erde. Das Inventar der Gräber umfaßte Arm- und Ohrringe, Schnallen, zwei Schwerter und ein Messer in Bronze und Eisen. Wenn auch die Rorschacher Kirche urkundlich erst 1095 erscheint, befand sich vielleicht am Ort der heutigen Kolumbanskirche schon früher ein ältestes Bethaus mit einem kleinen Friedhof, dem möglicherweise die Alemannengräber zuzuordnen sind. Als erste brachten römische Krieger und Kaufleute das Christentum in unser Land. Als sich dann die Alemannen in großer Zahl unter den kelto-romanisch sprechenden christlichen Helvetiern niederließen und zur Mehrheit wurden, drängten sie unserer Gegend ihre Gewohnheiten auf: man redete allmählich deutsch, und der alte germanische Götterglaube verdrängte den christlichen. Einzig in Arbon blieben keltische Sprache und christlicher Glaube erhalten. Welche Ueberraschung für die Glaubensboten, die zu Beginn des 7. Jahrhunderts aus dem keltischen Irland erschienen, als sie beim zerfallenden Kastell Arbor Felix eine kleine Schar vorfanden, die trotz alemannischer Landnahme Glauben und Sprache aus der Römerzeit herübergerettet hatte und mit der sie sich in ihrer irländischen Sprache verständigen konnten. Von der Galluszelle aus begann dann die zweite und eigentliche Christianisierung unserer Seegegend, besonders nachdem, ein Jahrhundert nach Gallus’ Tod, der alemannische Mönch Audomar (Otmar) von Chur an die Steinach berufen worden war, der das Kloster begründete. Zweieinhalb Jahrhunderte stand St. Gallen unter der Jurisdiktion des Bischofs von Konstanz, und es brauchte noch vieler Bemühungen und Kämpfe, bis die Fürstabtei St. Gallen ihre Selbständigkeit erlangte. Im Ulmervertrag von 854 trotzte der Abt dem Bischof eine Trennungslinie ab, die etwa der heutigen Kantonsgrenze zwischen St. Gallen und Thurgau entspricht. Die älteste Nennung Rorschachs fällt ins Jahr 850, wo ein Alemanne Vurmheri ein Grundstück zwischen «Goldaha» und «Rorscachun» dem Kloster schenkte. Was bedeutet unser Ortsname? Entweder Wald des Roro oder Schilfwald. Beides deutet auf den riesigen Arboner Forst, der vom See bis zum Säntis reichte. Einer der ältesten Flurnamen Rorschachs «Schurtannen» (einzelne Schutz bietende Tanne) aus dem 12. Jahrhundert läßt vermuten, daß damals schon bis zur heutigen Langmoosstraße hinauf gerodet war. Inmitten dieser Rodung wurde wahrscheinlich die Kolumbanskirche in ihrer ältesten Form im 13. Jahrhundert gebaut. Seit der alemannischen Zeit gab es in Rorschach Allmenden, Weiden, auf die jeder Hofgenosse sein Vieh treiben, und Wälder, die er nutzen konnte. Unsere Allmenden zogen sich über die Hänge des Berges und reichten bis zu den obersten Wäldern, ja über diese hinaus bis an die appenzellische Grenze. Letzte Reste dieser einst umfangreichen gemeinwirtschaftlichen Nutzungsgebiete sind die ortsbürgerlichen Pachtgüter und Waldungen am Rorschacherberg. Ein Teil des landesherrlichen Besitzes zu Rorschach wurde in Eigenwirtschaft genommen. Solch klösterliches Land gruppierte sich um den Kellhof bei Mariaberg. Das Haus des Seminarpächters ist noch das letzte bestehende von mehreren Kellhof-Gebäuden. Der Keller als örtlicher Verwaltungsbeamter des Grundherrn trieb hier die Grundzinse und Abgaben ein. Er überwachte die im Dorf und weitern Umkreis liegenden Kellhofgüter und besaß gelegentlich auch niedergerichtliche Befugnisse. Aus Kellern und Meiern sind wahrscheinlich auch die Edelherren von Rorschach auf St. Annaschloß hervorgegangen. Ueberbleibsel der Kellhofgüter ist die dem Staate gehörende Seminarliegenschaft. Soweit einige wesentliche Marksteine aus Rorschachs ferner Vergangenheit. Seine Entwicklung vom Hof zum Marktflecken, Hafen- und Industrieort, elfhundert Jahre lang unter stiftsanktgallischer und während 160 Jahren unter kantonaler Hoheit, verdankt es nicht nur seiner unverlierbaren ausgezeichneten Verkehrslage, sondern auch der schöpferischen Leistung vieler seiner Bewohner.

Text: Richard Grünberger

Zurück